Schreiben ist eine Form persönlicher Freiheit (DON DE LILLO)

Herzlich Willkommen auf meinem Blog. Hier möchte ich in unregelmäßigen Abständen meine Gedanken und Positionen zu unterschiedlichen politischen Themen aufschreiben.

16. August 2010

Ein Tandem für die Bildung



Veröffentlicht in der FAZ vom 16.08.2010 in der Rubrik "Fremde Federn" unter der Überschrift:
Gemeinsame Verantwortung für Bildung.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Bildungsteilhabe von Kindern im Sozialgeldbezug soll nach Überlegungen von CDU- und FDP- Politikern mit einem Gutschein- oder Chipkartensystem in den Alltag umgesetzt werden. Die Begründung, nur so komme die Leistung auch tatsächlich beim Kind an, lässt tief blicken. Da ist die Annahme zu erkennen, dass der Einzelne, hier also die Eltern, grundsätzlich weniger verantwortungsvoll handeln als der Staat. Das ist ein politischer Paradigmenwechsel! Er bedeutet eine Abkehr von bürgerlichem Politikverständnis, das regelhaft und primär das Prinzip der Eigenverantwortung über die Staatsbevormundung setzt. Bürgerliche Politik setzt auf Verantwortung, honoriert sie, fordert sie ein. Ausgangspunkt und Adressat politischer Maßnahmen ist der Verantwortungsbewußte, nicht der Verantwortungslose! Zur Verantwortung gehören Freiheit und Zutrauen. Gutscheine enthalten Einschränkung und Misstrauen. Die Antwort auf Verantwortungslosigkeit Einzelner darf nie die Kollektivbevormundung sein. Stattdessen braucht es zielgenaue Impulse, damit Verantwortung auch von allen wahrgenommen wird.
Wer Eltern über Gutscheine entmündigt, darf nicht klagen, wenn Elternverantwortung auch anderswo immer mehr schwindet. Dieser Kollateralschaden liefert zugleich den Vorwand für weitere Eingriffe des bevormundenden Staates. Ein Teufelskreis, den wir nur beenden können, wenn wir konsequent auf bürgerliche Werte setzen.
Was heißt das im Einzelnen? Bildung gelingt nicht ohne die Eltern! Die Voraussetzungen für Bildungserfolg sind Bindung und Erziehung. Hierbei sind Eltern nicht zu ersetzen! Ihre Bedeutung, ihre persönliche Verantwortung muss bewußt gemacht und eingefordert werden, anstatt Eltern zu Gutscheinempfängern zu degradieren und sie damit wie unmündige Störenfriede im Leben und Lernen ihres Kindes zu behandeln.
Eltern und Staat bilden ein Verantwortungstandem für die Bildung mit ineinandergreifenden und aufeinander aufbauenden Anteilen an der Verantwortung und mit Einrichtungen von der Kindertagesstätte bis zur Schule, der beruflichen Bildung bis zur Hochschule. Ob Kinder darüber hinaus in den Genuss von Sport – oder Musikangeboten, Nachhilfe, Schwimmbad – oder Museumsbesuchen kommen, hängt vom Einsatz und den Möglichkeiten ihrer Eltern ab. Hartz IV- Eltern wurde dafür bisher kein Geld zur Verfügung gestellt. Bürgerliche Politik muss diese Eltern in die Lage versetzen, ihre Verantwortung mit der gleichen Wahlfreiheit für ihre Kinder, die arbeitende Eltern auch haben, wahrzunehmen. Das bedeutet, dass der Bildungsbedarf als Geldleistung zur Verfügung gestellt werden muss. Damit folgt die Gewährleistung des Kinderbedarfs folgerichtig der Grundentscheidung von Hartz IV für Eigenverantwortung, also für Pauschalen und gegen Bezugsscheine. Alles andere wäre ein verheerendes Signal. Das wäre durch nichts zu rechtfertigen: nicht durch zustimmende Meinungsumfragen und auch nicht durch die Aufzählung von Negativbeispielen.
Ignorieren kann und soll man Verantwortungslosigkeit, die auch in Familien stattfindet, keinesfalls, aber mit einer Generalbevormundung zu antworten wäre verhängnisvoll. Das Hauptanliegen der Gutscheinbefürworter, nämlich sicherzustellen, dass Kinder an Bildungsangeboten auch tatsächlich teilnehmen, wird mit Gutscheinen nicht gelöst. Gutscheine wirken bestenfalls defensiv - sie verhindern allenfalls, dass das Geld für was „Anderes“ ausgegeben wird, als für den im staatlichen Positivkatalog aufgenommenen Bildungsanbieter. Aber auch auch ein Gutschein kann im Einzelfall elterliche Gleichgültigkeit oder Verantwortungslosigkeit nicht beheben.
Das Ziel muss sein, Elternverantwortung wirksam zu aktivieren. Das gelingt nur, wenn man die Eltern mitnimmt und das Verantwortungstandem nachbildet. Bei arbeitssuchenden Eltern ist zum Beispiel eine neue vernetzte Herangehensweise der Jobcenter eine sinnvolle Lösung. Gemeinsam mit weiteren Akteuren, die mit Familien zu tun haben, wird nicht nur der Arbeitssuchende, sondern die ganze Familie in den Blick genommen. In einer erweiterten Eingliederungsvereinbarung klärt man gemeinsam mit den Eltern – auf gleicher Augenhöhe und verbindlich -, welche Bildungsangebote für ihre Kinder in Frage kommen und wie sie im Alltag verwirklicht werden können. Bei Bedarf muss der Sozialleistungsträger beim Bildungsträger nachfragen können, ob das Angebot tatsächlich in Anspruch genommen wird. Damit wird die Einhaltung der „Familienvereinbarung“ überprüft und notfalls nachhaltig eingefordert. Auch eine Direktzahlung des Beitrags an den Bildungsträger muß in Ausnahmefällen möglich sein. So kann gezielt auf Problemfälle reagiert werden, ohne das Prinzip der Eigenverantwortung auszuhebeln. Nur so wird Elternverantwortung wirksam zugeordnet, aktiviert und eingefordert. Damit werden abstrakte Möglichkeiten zu tatsächlichen Bildungschancen. Mit Eltern geht vielleicht nicht alles. Ohne Eltern geht nichts!

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