Schreiben ist eine Form persönlicher Freiheit (DON DE LILLO)

Herzlich Willkommen auf meinem Blog. Hier möchte ich in unregelmäßigen Abständen meine Gedanken und Positionen zu unterschiedlichen politischen Themen aufschreiben.

14. Januar 2013

Meine Rede im Bundesrat am 14.12.2012 anlässlich der Gesetzesinitiative zur Einführung des Betreuungsgeldes



Das Betreuungsgeld: Essentieller Baustein kindeswohlorientierter Familienpolitik

Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Ich bitte Sie, dem Gesetzentwurf zur Einführung eines Betreuungsgeldes zuzustimmen. Das Betreuungsgeld ist ein essentieller Baustein kindeswohlorientierter Familienpolitik und deshalb unverzichtbar. Es erweitert die Gestaltungsspielräume für diejenigen Eltern, die die Betreuung ihres ein- oder zweijährigen Kindes familiär leisten oder privat organisieren und deshalb von ihrem ab August 2013 geltenden Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz keinen Gebrauch machen wollen. Es sichert die freie Wahl zwischen Krippenplatz, Tagesmutter, familiennaher Bezugsperson oder persönlicher Betreuung. Es sorgt so – korrespondierend zum Rechtsanspruch – für die notwendige und gesellschaftspolitisch gebotene Balance in der Familienpolitik. Das Betreuungsgeld wurde 2007 von der damaligen großen Koalition vereinbart – mit den Stimmen der SPD!

Diese Leistung war die Bedingung für die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten Geburtstag. Damals wie heute gilt: Wir wollen den Eltern nichts vorschreiben, sondern unterschiedliche Optionen bieten!
 

Wir wollen Familie ermöglichen und nicht lenken.  Eltern sollen möglichst frei entscheiden können und deshalb brauchen wir das Betreuungsgeld.
Die Besorgnis, das Betreuungsgeld setze bildungs- und integrationspolitische Fehlanreize, ist unbegründet. Entwicklungspsychologen und Hirnforscher weisen seit langem darauf hin: Bindung ist die Basis der ganzen Persönlichkeitsentwicklung. Und diese Basis wird in den ersten Lebensjahren gelegt. Gerade in diesem sensiblen Alter kommt es deshalb in besonderer Weise auf die Bindung zu primären Bezugspersonen an. Auch Bildung baut auf einer verlässlichen Bindung auf. Die emotionale Zuwendung der wichtigsten Bezugspersonen ist jedoch keine Frage des Bildungsabschlusses oder der Herkunft der Eltern! Eltern mit Migrationshintergrund sind genauso gute Eltern wie Eltern ohne Migrationshintergrund. Ärmere Eltern sind genauso gut wie wohlhabendere. Forschungsbefunde weisen auch auf Risiken bei einem zu frühen oder zu langen Krippenbesuch hin. Wenn ein Kind mit Trennungsängsten von seiner Bezugsperson kämpft, helfen kognitive Impulse durch die Krippe wenig.
Der renommierte dänische Familientherapeut Jesper Juul etwa sagt ganz klar: „Wir wissen, dass rund ein Fünftel der Ein- bis Zweijährigen darunter leiden, in die Kita gehen zu müssen, weil sie Trennungsängste haben.“
Es gibt keine pauschalen Antworten auf die Frage, ob und ab welchem Alter die Krippe einem Kind gut tut. Jedes Kind ist anders, jedes Kind hat seine eigene Entwicklung und sein eigenes Tempo. Maßgeblich für die Wahl der richtigen Betreuungsform muss die individuelle Situation des Kindes und der Familie sein. Und das können die Eltern am besten beurteilen.
Das Betreuungsgeld leistet einen zentralen Beitrag, die in Art. 6 Abs. 1 GG verankerte Wahlfreiheit der Eltern zu stärken. Der Gesetzgeber hat die familiären Gestaltungsspielräume in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes besonders privilegiert: durch die Elternzeit, das Unterhaltsrecht und die rentenrechtliche Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten.
Mit dem Betreuungsgeld wird das zweite und dritte Lebensjahr des Kindes mit einer Leistung ausgestattet, die Eltern hilft, ihre in der Verfassung und im Arbeits-, Sozial-, Unterhalts- und Rentenrecht geschaffenen Handlungsoptionen ihren Vorstellungen gemäß zu gestalten.
Wir wollen kein Lebensmodell vorschreiben, sondern Alternativen bieten.
Das Betreuungsgeld soll daher weder an den Verzicht auf die Erwerbstätigkeit noch an die Eigenbetreuung der Eltern geknüpft werden, auch wenn leider nach wie vor vielfach das Gegenteil behauptet wird. Deshalb ist das Betreuungsgeld auch so entwaffnend unschuldig. Und deshalb gehen auch die verfassungsrechtlichen Bedenken ins Leere.
Durch das Betreuungsgeld werden
  • keine traditionellen Rollenverteilungen zwischen Frauen und Männern verfestigt,
  • die Familienförderung nicht auf einen bestimmten Typus eingeengt und
  • Eltern nicht von der Erwerbstätigkeit abgehalten.
Demzufolge führt das Betreuungsgeld auch nicht zu einer höheren Armutsgefährdung, sondern ganz im Gegenteil zu einer finanziellen Unterstützung des individuellen Betreuungskonzepts. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuungsplätze und der Verankerung des Rechtsanspruchs auf einen Krippen- bzw. Tagespflegeplatz ab dem 2. Lebensjahr wurde ein Schwerpunkt bei den institutionellen Betreuungsangeboten gesetzt.
Mit der Verankerung des Betreuungsgeldes wird in einem zweiten Schritt das Spektrum der den Eltern zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen erweitert und die in Art. 6 Abs. 1 GG verankerte Wahlfreiheit der Eltern gestärkt.


Der erste Gesetzgebungsakt hat daher den zweiten vorprogrammiert. „Entweder oder“ heißt „Lenkung“. „Sowohl als auch“ bedeutet „Wahlfreiheit“. Deshalb brauchen wir beides: den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz und das Betreuungsgeld.
Nach den Vorstellungen der Länder, die die Einberufung des Vermittlungsausschusses fordern, sollen die für das Betreuungsgeld erforderlichen Finanzmittel zusätzlich in den Ausbau der Krippenplätze investiert werden. Sie wollen alles auf die Karte „Krippenausbau“ setzen.
Das ist nicht das, was sich Familien in Deutschland von der Politik erwarten. Familien wollen nicht auf das eine Modell, Kinder möglichst früh und umfänglich in die Krippe zu geben, festgelegt werden. Bayern steht daher für beides: für den dynamischen Ausbau der Betreuung für Kinder unter drei Jahren und das Betreuungsgeld. Eine aktuelle Studie des Allensbach-Institutes [im Auftrag von Bild der Frau und BMFSFJ: „Chancengerechtigkeit durch Förderung von Kindern – Ein deutsch-schwedischer Vergleich“, 2012] kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich 27 % der Deutschen der Meinung sind, dass es für die Entwicklung eines Kindes in den ersten drei Lebensjahren am besten ist, wenn es auch eine Kinderbetreuungseinrichtung besucht.
Umgekehrt sieht also ein großer Teil der Eltern in der Krippe keine ideale Lösung. Es gibt nicht die Familie. Familie ist bunt und das soll sie auch sein können. Es sind deshalb ganz unterschiedliche Gründe, warum sich Eltern für eine Lösung jenseits der Krippen entscheiden:
Was antworten wir den Eltern, die Schicht- oder Spätdienst arbeiten und die deshalb auf eine privat oder familiär organisierte Betreuung gerade auch in diesen Zeiten angewiesen sind? Was antworten wir den Eltern, die sich über ihr drittes oder viertes Kind freuen und angesichts des Zeitbedarfs dieses Familienunternehmens Erwerbs- und Familienarbeit bewusst aufteilen wollen?
Was antworten wir den Eltern, deren Kind als Frühchen mit einem Handicap ins Leben startet, denen angesichts der Fülle von Arzt- und Frühförderterminen keine Wahl bleibt?
Diese Eltern sind auf Alternativen angewiesen, wir dürfen sie nicht im Regen stehen lassen!
Ein Krippenplatz entspricht einem Sachwert von rund 1.000 Euro monatlich, andere Betreuungslösungen wurden bislang weitestgehend als Privatangelegenheit der Eltern betrachtet. Diese Schieflage darf nicht noch weiter verstärkt werden. Der Ausbau eines bedarfsgerechten Kinderbetreuungsangebots für unter Dreijährige steht nicht in Konkurrenz zum Betreuungsgeld. Eltern brauchen beides.
Erfolgreiche Bildungsländer wie Finnland, Schweden oder Norwegen haben seit Jahren ein Betreuungsgeld für Eltern, die sich für ein anderes Modell entscheiden als für den öffentlich finanzierten Betreuungsplatz.
Auch Deutschland sollte seinen Familien mehrere Optionen bieten. Deshalb bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Vielen Dank!